Ich hatte nie etwas für Vandalismus übrig. Vor dieser Kreuzfahrt hätte ich mich eigentlich eher als einen gemäßigten Zeitgenossen bezeichnet.
Vergangenen Winter hatte ich einem Psychologen-Freund den Gefallen getan, bei einem seiner Selbstfindungs-Seminare teilzunehmen. Eine Anmeldung hatte damals gefehlt, um die Veranstaltung stattfinden lassen zu können. Am ersten Tag mussten wir unsere Aggressionen auf einer Skala verorten. Ich hatte mir damals zwei von zehn Punkten gegeben. Und das nur, weil mir der absolute Niedrigstwert von einem Punkt vermessen vorgekommen wäre.
Bei dem vielleicht impulsivsten Moment meines Lebensgut, gut 20 Jahre vor dieser Kreuzfahrt durch die norwegischen Fjorde, hatte mich meine Mutter erwischt: Gerade, als ich ein Brötchen im Baseball-Style gegen die Küchenwand pfefferte, war sie hereingekommen. Tatsächlich waren es damals aber keine Aggressionen gewesen, die zu diesem dadaistischen Akt geführt hatten, sondern das Gefühl, etwas durch und durch Unwahrscheinliches tun zu müssen, um mich wie ein Individuum fühlen zu können.
Dass ich vor drei Tagen als Passagier auf die Polar-Queen gestiegen war, hatte ähnlich wenig mit dem Wunsch nach Urlaub zu tun, wie das Brötchen damals aus Aggressionen heraus gegen die Wand geflogen war. Pedro, der in Jugendjahren der Austauschpartner meiner Frau gewesen war, hatte die Idee eines Schüleraustausch-Revivals gehabt: So viele Ehemalige wie möglich auf einer Kreuzfahrt versammeln! Zwei Wochen an einem Ort, von dem man nur mit Rettungsbooten flüchten konnte. Keine Möglichkeit zu entkommen, wenn man nach dem ersten Abendessen mit Berufs- und Familienupdates merkt, dass man diese Gesellschaft keinen Tag länger ertragen kann.
Ich hatte unvorsichtig eingewilligt, da ich die Idee zum Scheitern verurteilt sah. Zwei Wochen später lagen dann die Tickets bei uns im Briefkasten.
Das unaufhaltbare Etwas fing bei meinem ersten Gang auf die Toilette an. Die Halterung der Klopapierrolle war locker. Ich begann an der Schraube herumzuspielen und entwickelte einen ungeheuren Ehrgeiz, dieses Teil von der Wand zu entfernen. Da war aber noch die zweite Schraube, die wie eingedübelt saß. Ich versuchte es sogar mit den verschiedensten Schlüsseln an meinem Bund und ruckelte und riss an der halb herunterhängenden Halterung bis die Wand nachgab. Endlich hielt ich das Teil also in meinen Händen – die Klopapierrolle hatte sich in der Zwischenzeit verselbständigt und fast gänzlich abgerollt.
Für einen kurzen Moment durchströmte mich eine weihnachtsähnliche Freude, wie ich sie aus Kindheitstagen kannte, wenn ich ein Geschenk endlich in die Hände gelegt bekam und aufreißen durfte. Und eigentlich hätte es mich am zufriedensten zurückgelassen, das Bad in diesem Zustand zu verlassen, wenn da nicht